"Was ist uns heilig?", unter dieser Frage haben sich der Eine-Welt-Ausschuss und Gläubige in St. Marien versammelt und gemeinsam das Misereor-Hungertuch betrachtet.
In ruhiger Stimmung ließen die Gläubigen das Bild, die Texte und die Musik auf sich wirken. Eindrucksvoll über dem Altarraum aufgehängt lud das diesjährige Hungertuch des nigerianischen Künstlers Emeka Udemba zum Nachsinnen ein. In Zeiten, in denen uns rasant fortschreitende Klimaveränderungen, Pandemien, Kriege und Hungersnöte zeigen, dass alles mit allem verbunden ist, und in denen sich die globale Lage von einem Moment auf den anderen ändern kann, ist der Blick auf unsere eigentliche Lebensgrundlage, die Schöpfung, umso wichtiger. Diesen Blick schärften die Texte, die Theresia Nüßlein, Ute und Martin Wagner, Elfriede Schreiner, Rosi Angerer und Marianne Kothieringer vom Eine-Welt-Ausschuss des Gesamtpfarrgemeinderates Simbach vortrugen. Thomas Geigenberger, ebenfalls Teil des Eine-Welt-Kreises, begleitete auf der Gitarre. “War sehr schön gestaltet,” war das Fazit eines Besuchers.
Text: Martin Eibelsgruber
Dein blaues Wunder
Uns in die Hände gegeben
die Hände des Südens
die Hände des Nordens
dein blaues Wunder
es zu hören, es zu hüten
von ihm zu leben
Ein kleiner Vogel
baut sein Nest
Das Lied der Güte
zum Schweigen gebracht
Das Atmende verdingt
An den Meistbietenden
verschachert das Erbe
dein blaues
dein blutendes
dein weinendes
Wunder
Das Land erben
Selig,
die nicht siegen müssen
die nicht über ihre Verhältnisse leben
die nicht besitzen wollen, was nicht ihr Eigen ist
die nicht ernten, wo sie nicht gesät haben
Selig
Die den Schrei der Schlachthöfe hören
Die sich an die eichenen Geschwister binden
Die sich an die Abbruchkante der Kohle hinstellen
Die dem Krieg ihre Gebete entgegenstemmen
Selig
Die sich als Gäste der Erde verstehen
Die die Samen aus Licht sammeln
Die dem Regen danken
Die im Reiskorn den Himmel schauen
Sie werden das Land erben
Morgen
Die Blätter der Bäume
Atmen auf-
Die Zuversicht verzweigt
Die Kinder träumen sich
Satt und selig in den Schlaf-
Der Himmel hisst seine Sterne
Das große Wasser flimmert
Von Leben
In den Kasernen haust allein der Wind
-Das Wort Krieg
Weniger als eine Erinnerung
Was atmet, ist frei
Sacht setzen die Männer
Den Fuß auf Mutter Erde
Aus den Augen der Frauen rinnt
Der Erntedank
In unserer Hand liegt es
Zum Hintergrund des Hungertuches
Ihnen entgeht ein toller Beitrag!
Der Künstler des diesjährigen Hungertuches heißt Emeka Udemba, wurde in Nigeria geboren und lebt und arbeitet inzwischen seit 25 Jahren in Freiburg. Zwei verschiedene Kulturen zu erleben, empfindet Udemba als Bereicherung. Afrikaner zu sein, macht ihn stolz.
In seinen Werken will er deutlich machen, dass sich das Leben in einem ständigen natürlichen Prozess der Veränderung, des Wachsens und der Weiterentwicklung befindet. Von der Natur können wir lernen, dass Leben und Tod zusammengehören. Damit die einen leben können, müssen die anderen sterben. Geburt und Tod, Schönes und Schweres, Frieden und Gewalt gehören von jeher zu unserem Leben dazu. Es ist an uns, zu lernen damit umzugehen und das Beste daraus zu machen. Wenn Udemba Menschen durch seine Bilder diese großen Zusammenhänge verständlich machen kann, empfindet er sich in gewisser Weise als Therapeut oder Heiler.
Udemba beschäftigte er sich über einen Zeitraum von rund einem Monat mit dem diesjährigen Hungertuch. Schritt für Schritt, Schicht um Schicht, fügte er immer wieder etwas hinzu, überdeckte etwas und legte anderes frei. So gab er einem Prozess der Veränderung und Entwicklung Raum.
Zunächst sammelte er alle möglichen Zeitungsausschnitte, Symbole für die enorme Reizüberflutung, der wir tagtäglich ausgesetzt sind, und platzierte sie als Collage auf einer Leinwand. Dahinter standen für den Künstler Fragen wie: Was ist wahr, was sind Fake-News? Was davon betrifft mich und mein Leben? Woran soll ich meine Entscheidungen ausrichten?
In einem zweiten Schritt überdeckte er die Papier- und Textfragmente komplett mit schwarzer Farbe. Eine bedrohliche Dunkelheit entstand, eine Schicht, die an verbrannte Erde erinnert, aus der wieder Neues wachsen kann. Die Farbe Schwarz verbinden wir aber nicht nur mit Bedrohung, Zerstörung und Trauer. Schwarz lässt alle Farben, die darauf aufgetragen werden, um so heller leuchten. Gleichzeitig ist die schwarze Farbe Sinnbild für die Heimat des Künstlers, den afrikanischen Kontinent, die Wiege der Menschheit.
Schließlich brachte der Künstler auf die schwarze Schicht erneut Papierfetzen auf und eine weitere Schicht verschiedener, diesmal bunter Farben dominiert von Rottönen. Die Fragmente der Zeitungsschnipsel bleiben erkennbar.
Technik, Herangehensweise und Selbstverständnis des Künstlers legen gewisse Assoziationen zwischen dem Werk und aktuellen Ereignissen nahe. Ein Deutungsversuch:
Die oberste Schicht des fertigen Werks zeigt eine Erdkugel, die mit ihren grünen und blauen Flecken — noch — lebendig und fruchtbar aussieht. Gleichzeitig deuten die roten und weißen Stellen auf die Gefahren von Klimaerwärmung, Bränden und Dürreperioden hin.
Behutsam wird der Erdball gehalten von einem Paar schwarzer und einem Paar heller Hände. Noch haben wir Menschen es in der Hand, dass unser Heimatplanet trotz der zahlreichen Bedrohungen durch Klimakatastrophen, Ressourcenraubbau und Kriege nicht untergeht. Noch können wir — alle Völker gemeinsam — darauf hinwirken, dass die Erde nicht zum Spielball für diejenigen wird, die ohne Rücksicht auf mögliche Folgen Ressourcen ausbeuten und verschwenden.
Der Hintergrund des Bildes wird von der Farbe Rot dominiert. Eine Warnung vor den schon lodernden Flammen der Katastrophe, auf die wir zusteuern, oder ein Zeichen der Hoffnung? In den vielen bunten Farbflecken verbirgt sich die Frage: “Was ist uns heilig?” Ist uns überhaupt noch etwas heilig oder fällt alles dem Profit zum Opfer? Boden, Wasser, Luft und Klima? Worauf sind wir bereit zu verzichten, um diese natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen zu erhalten? Was ist uns die Bewahrung der Schöpfung wert?
Die Andacht fußt auf einen Vorschlag von Andrea Kett und Barbara Verholen, Aachen.